Matthias Urban brachte im Jänner 2023 sein 16. Album heraus. Ein Interview.
Matthias, Du hattest als Kind Violine- und Schlagzeug-Unterricht an der Musikschule. Mittlerweile bist du ein erstklassiger Saxophonist. Wie hast du zur Elektroakustischen Musik gefunden?
Ich habe 2006 angefangen mit sogenannten „Field Recordings“. Da schnappt man sich Mikrophone und geht in den Wald oder an irgendwelche Orte und zeichnet Töne und Geräusche auf. Ich habe angefangen auf dem Gebiet der experimentellen Musik zu recherchieren und habe auch selbst viel experimentiert. 2013 habe ich in Linz das Medienkunst-Studium „Zeitbasierte und interaktive Medien“ begonnen. Ich lernte Stockhausen kennen, Ligeti, Bernard Parmegiani, damit ging es für mich so richtig los. Ich bekam einen anderen Zugang und traf im Studium auf Menschen, die sich ebenfalls für diese Art Musik interessierten.
Es ist schön, auch abseits der eigenen Hörgewohnheiten in musikalische Welten einzutauchen. In deinem neuen Album „Intermission“ eröffnen sich einem schon innerhalb eines einzigen Stückes verschiedenste „Sphären“. Was fasziniert dich selbst an der Elektroakustischen Musik?
Ich habe in meinen Anfängen kein Instrument gespielt und der Computer bzw. die Aufnahmetechnik war mein Instrument. Man konnte mit jedem Sample alles machen. Das ist zwar manchmal Fluch und Segen, denn wenn du wenig Mittel hast, wirst du eigentlich kreativer. Aber mir hat immer gefallen, dass ich z.B. aus einem Vogelgesang ein perkussives Instrument erstellen kann. Da das Genre Film immer schon ein wichtiger Teil von mir war, liegt mir viel daran, Geschichten zu erzählen, Räume zu schaffen, organische Atmosphäre, wo man nicht weiß, ist es jetzt ein Synthesizer oder ist es ein Sample.
Was zeichnet gute Musik im Allgemeinen aus – was ist das Wichtigste für dich?
Die Musik muss authentisch sein. Das ist wichtig für mich. Ich höre so viel verschiedene Musik. Von amerikanischer Folk-Musik bis zu zeitgenössischer Klassik.
Vielleicht muss es „anders“ sein. Mich zieht auf jeden Fall immer an, wenn etwas „neu“ ist. Z.B. Iannis Xenakis in der zeitgenössischen Musik. Xenakis war in der Französischen Schule beheimatet, wie Olivier Messiaen, und er klingt neben Ligeti, Stockhausen, Lachemann so komplett anders als alles, was man kennt. Er arbeitete mathematisch. Solche Dinge ziehen mich an.
Du hast im Jänner dein Album „Intermission“ bei „Ultraviolet Light“ veröffentlicht. Digital und als Musikkassette. Wie bist du zum amerikanischen Lable gekommen?
Ich bekam vor vier Jahren bereits das Angebot, dort zu veröffentlichen. Musikalisch haben meine Sachen aber dann doch besser zu anderen Lables gepasst. Das aktuelle Album wurde nun aber ganz anders, sehr fordernd, und passte sehr gut in diese Schiene hinein. Es hat dem Betreiber einfach auf Anhieb gefallen.
Die Musikkassette ist nach wie vor oder auf ein Neues etabliert in der Elektroakustischen Musik?
Ja, sie ist in dieser Musikrichtung ein sehr beliebtes Medium. Nicht nur in Amerika, gerade auch in Italien. Das finde ich schon interessant.
Wie arbeitest Du? Welche Idee steht dahinter, wenn du ein neues Stück angehst? Im Beisatz zur aktuellen MC ist die Rede von „Collagen“, von „Algorhytmischen Kompositionen“.
Für dieses Album hier ist viel entstanden, nachdem ich mich mit der deutschen Künstlerin Jorinde Voigt beschäftigt hatte. Ihre Kunstwerke basieren auch auf Musikstücken, vielen Linien und interessanten grafischen Ideen. Parallel beschäftigte ich mich auch wieder mit Iannis Xenakis. Die Idee war, diese beiden Herangehensweisen mit meinem eigenen Stil zu kombinieren. Dazu wollte ich erstmals auch mein Saxophon mit hineinbringen. Das war mein Ausgangspunkt. Bestimmt wird es so etwas Ähnliches schon irgendwo geben, aber ich selbst habe so etwas noch nie gehört. Im Grunde sind meine Alben immer Resultate aus Experimenten.
Und wie sehen deine Experimente aus?
Gerne experimentiere ich z.B. mit Tonbändern, weil das noch etwas Haptisches hat. Ich bearbeite sie manchmal chemisch oder mache Schnipsel – da gibt es natürlich allerhand zu machen. Oft schreibe ich meine Software selbst, im Max/MSP oder Pure Data. Dass von Anfang bis zum Ende alles selbst gemacht ist, ist mir wichtig. Für mich hat das auch etwas mit Authentizität zu tun. Ich verwende z.B. auch keine Samples, die andere gemacht haben. Auch wenn es ein Jahr lang Arbeit ist, diese zu kreieren, wie z.B. für das abstrakte Klavierstück, ich mache es auf jeden Fall selbst. Sonst klingt man ja wie alle anderen! (lacht)
Du arbeitest seit einiger Zeit auch vermehrt mit MusikerInnen zusammen, richtig?
Damit habe ich angefangen, als ich das Saxophon spielen lernte. Ich genoss es, den Ton nun von Null auf Hundert selbst am Saxophon zu generieren und wollte dann auch andere Menschen miteinbeziehen, die das auf ihren Instrumenten machen. Und so entstand wieder ein komplett neuer Zugang für mich.
Das Wort „compositio“ (dt. Zusammensetzung) finde ich bezogen auf dein Arbeiten besonders passend. Auch, wenn man dabei vielleicht als Erstes an die bekannte traditionelle Kompositionsweise denkt, etwa an eine vielstimmige Noten-Partitur, die zum Teil sogar noch von Hand geschrieben wird. Es passt geradezu bildlich zu deiner Herangehensweise am Computer. Wie hoch sind etwa die Anteile von Komposition bei dir? Wie viel wird improvisiert?
Ich würde sagen zu 80% Komposition. Bis auf die Saxophon-Effekte ist alles komponiert. Aber immer aus einem Experiment heraus. Mir ein fertiges Konzept zu überlegen, das ich dann umsetze, wäre nicht mein Fall. Wenn mich etwas spontan fasziniert, wenn ich etwas Neues höre oder draußen im Freien etwas sehe, beeinflusst das meine Ideen. Ich könnte mich nicht an ein vorgegebenes Konzept halten. Tagesabhängige Komposition – das ist es vielleicht.
Da es sich aber um akustische Experimente handelt, habe ich natürlich nicht immer alles unter Kontrolle. So hängt es auch immer ein bisschen vom Resultat ab – das ist vielleicht der Unterschied zur „gewöhnlichen“ Kompositionsweise.
Du bist ein Meister spezieller Sounds und Effekte am Saxophon, wie man beispielsweise im Stück „Planar Fractures“ hört. Was gefällt dir besonders an diesem Instrument?
Alles. Einfach alles! Man hat extrem viele Möglichkeiten. Im Gegensatz z.B. zu einem Klavier, das man präparieren muss, damit man andere Töne herausholen kann, abseits des klassischen Klavierklangs, kann man beim Saxophon quasi aus dem Stegreif heraus mannigfaltig Töne erzeugen und damit experimentieren – natürlich mit entsprechendem Übe-Aufwand, das ist klar. Auch die Klangfarbe des Saxophons an sich gefällt mir sehr.
Du bist hauptberuflich Grafiker und beschäftigst dich wahrscheinlich genau so lange wie mit der Musik auch künstlerisch mit der Fotografie. Was, würdest du sagen, vermögen deine Bilder, die meist genauso abstrakt sind wie deine Musik, in Verbindung mit deiner Musik zu bewirken?
Sie sind vielleicht wie ein Spiegelbild meiner Musik. Entweder sehr minimalistisch, also dass fast gar nichts auf dem Foto ist, nur Licht und Schatten und vielleicht auch noch eine Farbe, oder sie sind extrem detailliert, fast schon Fraktal-artig, dass die ganzen Details ein großes Bild ergeben. Dazu inspiriert mich eigentlich alles aus der Natur! Die ganzen Strukturen, die man dort findet, faszinieren mich und auch die Zusammenhänge dieser Strukturen – diese möchte ich auch in meinen Bildern wiedergeben. Auch gefallen mir Sachen besonders, die kaputt sind.
Frakturen!
Genau. Ich fotografiere z.B. auch Müll! Manche meinen dann Wow, ist das ein gutes Foto! Ich sage dann, das ist nur Müll! Diese Bilder enthalten aber im Ganzen auch wieder eine Struktur, die mir gefällt. Gerade auf diesem Album jetzt, ist es auch so etwas ähnliches. Ich arbeite mit Überresten, kaputten Dingen, die am Schluss wieder etwas Schönes, jedenfalls aber etwas Sinnvolles ergeben.
Schon die Titelnamen deiner Kompositionen erfordern, dass, wer z.B. im mathematischen oder botanischen Fachjargon nicht beheimatet ist, erst nachschlagen muss, um sie als Hinweis zur Musik zu verstehen. Du machst es dem Zuhörer nicht unbedingt leicht, oder?
Ja, das stimmt. Dann müsste ich Pop-Musik machen oder müsste schöne Texte schreiben. Der Name des ersten Stückes „Canopy Disengagement“, beschreibt schon relativ gut, was ich im Kopf hatte. Ich dachte an eine Art Regenwald, die ich mit dem Saxophon erzeugen wollte. Die Loops, die immer wieder vorkommen, wären dann die Insekten, wie man sie im Regenwald von oben auf den Bäumen hört.
Musik oder Kunst im Allgemeinen sollten für dich aber selbsterklärend sein, ist das richtig?
Teils, teils. Die Idee hinter einem Kunstwerk zu erfahren, finde ich schon gut. Betrachtet man zum Beispiel einen schwarzen Quader, der im Raum steht, ist wohl für jeden eine andere „Wahrheit“ dahinter zu finden. Die Idee dahinter zu erfahren, finde ich gut und interessant – ich kann das dann für mich besser einordnen.
Deine Musik ist fordernd, wie du selbst sagst. Kennst du dein Publikum?
Vor allem über die Lables, wo ich veröffentliche, gelangt meine Musik zu ihren Liebhabern. Natürlich ist sie ein Nischenprodukt. Ich finde es auch selbst toll, Werke von anderen aus der Szene anzuhören und sie miteinander zu teilen.
Welche Musik hörst du sonst noch?
Free Jazz. Sehr viel Free Jazz und sehr viel zeitgenössische Klassik. Ab und zu höre ich ein bisschen Pop-Musik, Radiohead, mit denen bin ich aufgewachsen. Aber vor allem zeitgenössische Klassik und Improvisierte Musik.
Arbeitest du im Moment an einem Projekt?
Ich komponiere gerade mein erstes größeres Ensemble-Stück. Das wird mich noch eine Weile beschäftigen – es ist eine neue Herausforderung für mich. Ich möchte verstehen, weshalb etwas funktioniert oder auch nicht und bin gespannt, ob das, was ich im Kopf habe, für InstrumentalistInnen spielbar ist.
Möchtest du uns die Besetzung schon verraten?
Ganz genau kann ich es noch nicht sagen. Wahrscheinlich wird es ein Stück für Kammerorchester, Live-Elektronik und Disklavier.
Was empfiehlst du jemandem, der noch kaum oder keine Hörerfahrung mit Experimenteller Musik hat, für den ersten Hörversuch?
Einmal alles andere, was man kennt, weglassen. Denn Musik muss ja nicht immer schön sein. Für das ist sie nicht da, wie ich finde. Sie kann schön sein, und um sich am Abend zu entspannen, soll man natürlich jene Musik wählen, die sich dafür jeweils am besten eignet. Jedoch, wenn man eine Faszination sucht, oder einfach einmal etwas anderes, dann soll man sich einmal auf so etwas einlassen. Hören lernen, gerade in so einem Bereich der Musik, ist etwas sehr Wichtiges, meiner Meinung nach. Sich neue Hörgewohnheiten schaffen. Helmut Lachemann spricht z.B. viel über dieses Thema in Bezug auf seine Musik. Man findet sich in anderen Sphären wieder, wenn man sich darauf einlässt.
Du würdest also diesem Zitat zustimmen: „Lies [höre] jeden Tag etwas, das dich nicht wirklich interessiert. Es wird dein Leben bereichern.“ (unbekannt)
Ja – das sehe ich auch so!
Danke, Matthias!
Danke Dir!
Steckbrief
Matthias Urban
geboren 26.9.1986 in Feldkirch
wohnhaft in Klaus
Lehrausbildung als Grafikdesigner
Studium Zeitbasierte und Interaktive Medien an der Kunstuniversität Linz (nicht abgeschlossen)
früher Unterricht in den Fächern Violine und Schlagwerk,
zurzeit im Fach Saxophon an der tonart Musikschule Mittleres Rheintal
Hörproben
https://ultravioletlight.bandcamp.com/album/intermission
Website
https://www.matthiasurban.com
Mittwoch, 7. Juni 2023
Winzersaal, Klaus
Donnerstag, 15. Juni 2023
zum Formular
Sonntag, 25. Juni 2023
J.J. Endersaal, Mäder
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Das Programm des Musiziertreffs ist jedes Jahr sehr bunt. So viel Popularmusik wie heuer gab es aber bisher nie zu hören.
(Über)Mut tut manchmal gut!
Unter dem Motto “Über Mut” gab es bei der feierlichen Eröffnung der diesjährigen emsiana Spannendes zu hören.
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